Das Festhalten an traditionellen Produktionsmethoden bzw. Produkten entgegen weltweiter Trends und häufig gegen wissenschaftlichen Rat scheint im Jahr 2023 fröhlich um sich zu greifen. Während in Deutschland medial noch die Nachwehen des Streits um die Nutzung synthetischer Kraftstoffe im Straßenverkehr zu spüren sind, steht in Italien eine andere Branche im Fokus: die Lebensmittelindustrie.
Die rechts-konservative Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der ein Verbot von im Labor hergestelltem Fleisch und anderen synthetischen Lebensmitteln vorsieht. Das geplante Gesetz sieht bei Verstößen saftige Strafen von bis zu 60 000 Euro vor. Begründet wird der Vorstoß mit dem italienischen Lebensmittelkulturerbe und dem Gesundheitsschutz (ein kaum zu haltendes Argument). Auch Francesco Lollobrigida, Minister für Landwirtschaft und Ernährungssouveränität (das unbenannte Ministerium heiß wirklich so), bezog sich ebenfalls auf Bedeutung der italienischen Lebensmitteltradition.
Unterschiedliche Reaktionen
Während der Gesetzesentwurf bei Bauern- und Agrarverbänden – die auch durch Unterschriftensammlungen aktiv für das Vorhaben geworben haben - auf überwiegend positive Resonanz stößt, sehen es Umweltverbände und Tierschutzorganisationen erwartungsgemäß problematisch.
Spannend werden Reaktionen aus anderen europäischen Ländern sein. Auch wenn in der Europäischen Union noch keine finalen Zulassungen von kultiviertem Fleisch erlassen wurden, waren zumindest Ansätze in diese Richtung erkennbar, u.a. bei Vorbereitungen zu Zulassungsverfahren als auch bei der Förderung. Auch schätzt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kultiviertes Fleisch "als vielversprechende und innovative Lösung für gesunde und umweltfreundliche Lebensmittelsysteme" ein.
Auswirkungen für Europa
Die Auswirkungen aus Europa könnten durchaus dramatisch sein. Eine einheitliche Zulassung auf gesamteuropäischer Ebene sollte – wenn das Gesetz verabschiedet wird – vorerst vom Tisch sein. Andere vergleichbar eingestellte Regierungen könnte sich ebenfalls am italienischen Vorbild orientieren. Die EU könnte ggf. dennoch eine Zulassung erzwingen, der Schaden hinsichtlich Verbraucherakzeptanz ist aber bereits angerichtet. Die wenigen europäischen Unternehmen könnten so weiter hinter ihre internationalen Konkurrenten zurückfallen.
Während in den USA und Singapur (Zulassungen bereits 2020) die ersten Zulassungen von kultiviertem Fleisch bereits in Kraft getreten sind und beispielsweise Japan mit einem Förderprogramm ebenfalls seine Unternehmen aus diesem Bereich fördern will, scheint in Europa die Angst vor Veränderungen in Industrien vorzuherrschen.
Und Italien?
Ob sich Italien mit einem Durchwinken der Gesetzesvorlage mittelfristig einen Gefallen tut, kann angezweifelt werden. Nach aktuellen Prognosen wird das eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur bereits zwischen 2030 und 2035 erwartet. Italien hatte bereits 2022 mit einer massiven Dürre in Norditalien zu kämpfen, im Frühjahr 2023 war das Land erneut mit einer für diese Jahreszeit unerwarteten Trockenheit konfrontiert.
Mit jeden 1/10 Grad mehr wird die Wahrscheinlichkeit für solches extremes Wetter steigen und die Landwirtschaft sowie insbesondere die Viehzucht zu einem immer schwerer wirtschaftlich lukrativ zu betreibenden Geschäft machen. Die jetzt schon am Markt befindlichen Akteure der Cultured Meat Produktion können durch Skaleneffekte und technischen Fortschritt dagegen mit einer kontinuierlichen Senkung der Produktionskosten rechnen. Dazu kommt, dass kultiviertes Fleisch theoretisch lokal produziert werden könnte und damit ebenfalls teurer werdende Transporte reduziert werden können.
Prognosen innerhalb komplexer Systeme sind immer schwierig, aber es wäre nicht abwegig, wenn ab einem gewissen Punkt kultiviertes Fleisch im Vergleich zur voraussichtlich immer teurer werdenden konventionellen Fleischerzeugung in Italien so günstig wird, dass traditionelles Fleisch nur noch eine teure und selten verkaufte Delikatesse bleibt. Die jetzt jubelnden Landwirte werden sich dann fragen, ob nicht frühzeitige Investitionen in neue Herstellungsverfahren der bessere Weg gewesen werden.