Content, Recherche

Niederländische Stickstoffverordnung - eine Chance für kultiviertes Fleisch?

WirtschaftUmwelt

Protest-Konvois, Blockaden und vereinzelt sogar leere Supermarkt-Regale – die Bauernproteste in den Niederlanden halten derzeit ganz Europa in Atem. Auslöser ist eine neue Umweltverordnung der niederländischen Regierung, die auf eine Reduktion der Stickstoff-Ausbringung in der Landwirtschaft abzielt. Während viele Bauern nachvollziehbarerweise ihre Existenz bedroht sehen, wittern wir eine Chance für die Cultured Meat Branche. Nach dem Motto: Des einen Freud, des anderen Leid.

Oberstes Gericht verpflichtet zu Einhaltung der EU-Stickstoffnormen

Angesichts einer Ausfuhr von Agrarprodukten in Höhe von 105 Milliarden Euro allein im vergangenen Jahr zählen die Niederlande zu den weltweit wichtigsten Exporteuren der Branche. Allerdings auf Kosten der Umwelt. Denn ermöglicht hatte diesen Status unter anderem die Tatsache, dass die in Europa geltenden Schadstoffnormen im Nachbarland über viele Jahre hinweg offensichtlich mehr als Empfehlung denn als Vorgabe wahrgenommen worden waren.

Ein Beschluss des Obersten Gerichts der Niederlande aus dem Jahr 2019 verpflichtete die Regierung schließlich zur Einhaltung der geltenden EU-Stickstoffnormen. Als Reaktion darauf sollen nun die nationalen Stickstoff-Emissionen bis 2030 um rund 50, in Naturgebieten sogar um mehr als 70 Prozent gesenkt werden.

Landwirtschaft Haupttreiber des Stickstoff-Ausstoßes

Per se ist Stickstoff nicht problematisch, sondern vielmehr die Basis allen Lebens. Stickstoff ist nicht nur Baustein der menschlichen DANN, sondern auch Grundlage für das Wachstum von Pflanzen. Allerdings in adäquaten Mengen – und genau hier liegt das Problem. Der Mensch setzt mehr Stickstoff frei, als die Pflanzen aufnehmen können. Hauptreiber mit rund 60 Prozent der weltweiten Stickstoff-Emissionen ist die Landwirtschaft. Etwa durch die Ausbringung von Gülle in rauen Mengen, die insbesondere dort stattfindet, wo sehr viele Nutztiere auf sehr engem Raum untergebracht sind. Denn dort entsteht in der Regel überschüssige Gülle, die dann oft auf den Feldern entsorgt wird.

Übermäßiger Stickstoffeintrag und seine Folgen

Überschüssige Mengen an Stickstoff haben dramatische Konsequenzen für die Umwelt. Etwa eine weitere Reduktion der Artenvielfalt. So vermehren sich durch das erhöhte Stickstoffangebot in erster Linie stickstoffliebende Pflanzen und verdrängen so Pflanzen, die an stickstoffarme Begebenheiten angepasst sind. Zudem gelangt der Stickstoff in Form von Nitrat ins Grundwasser, das dann in einem aufwändigen Prozess für den menschlichen Konsum wiederaufbereitet werden muss.

Stickstoff, der beispielsweise über das Grundwasser in Seen, Flüsse und ins Meer gelangt, fördert Algenwachstum. So entstehen Todeszonen, also Regionen ohne Sauerstoff, die sich nicht mehr als Lebensraum für Fische eignen, was wiederum eine weitere Gefährdung der ohnehin bedrohten Fischbestände darstellt. Und: Zu viel Stickstoff hat eine Freisetzung von Lachgas zur Folge, ein Treibhausgas mit einer etwa 300-mal stärkeren Klimawirkung als CO2.

Die Stickstoffverordnung und ihre Folgen für die Viehzucht

Laut Angaben der niederländischen Regierung trägt die Viehzucht die Hauptverantwortung für die erhöhten Stickstoff-Emissionen. Im Umkehrschluss sind die viehhaltenden Betriebe durch die neue Stickstoffverordnung auch besonders gefährdet. Schätzungen der niederländischen Regierung stehen dadurch rund 30 Prozent der Betriebe vor dem Aus.  

Eine Chance für die Cultured Meat Branche?

Das Aus für jeden dritten Betrieb in der Nutztierhaltung hätte eine massive Lücke in der Fleischproduktion zur Folge. Eine Lücke, die angesichts der landesweiten Stickstoff-Obergrenze wohl auch kein andere konventioneller Fleischerzeuger füllen kann. Die Folge wäre ein dramatischer Einbruch der niederländischen Fleischexporte, der vor allem in anderen EU-Mitgliedsstaaten wohl Engpässe zur Folge hätte. Da auch dort Schadstoffnormen gelten ist fraglich, ob und wie schnell die Engpässe in diesen Ländern mittels Nutztierhaltung aufgefangen werden können.

Genau in diese Lücke könnten die europäischen Cultured Meat Herstellerstoßen.Erste Zulassungsanträge sollen bekanntlich noch in diesem Jahr eingereicht werden. Und ein wenig Druck von außen – in diesem Fall durch drohende Versorgungsengpässe – war der Geschwindigkeit von Zulassungsverfahren noch immer zuträglich.

Ohnehin scheint europaweit gerade die niederländische Regierung von den Vorteilen und damit auch von der Notwendigkeit von kultiviertem Fleisch überzeugt. Das zeigen etwa die jüngste 60-Millionen-Investition zur Förderung des Cultured Meat Sektors in den Niederlanden  oder die Zulassung von Verbraucherproben in den Niederlanden Anfang des Jahres. Bringen sich die Niederlande in Stellung für eine Vorreiterrolle für die Herstellung von In-vitro Fleisch in Europa?